Ja klar, da bangt ein Redakteur um seinen Job, weil den demnächst eine Künstliche Intelligenz übernimmt. Haben nicht auch die Pferdekutscher gegen das Automobil gewettert? Der soll mal schön stillhalten hier im Newsticker einer Fachpublikation für Informations- und andere Technik. Wer reitet denn fleißig mit auf der KI-Welle und betreibt dazu neuerdings sogar einen eigenen Podcast, das ist doch gerade und ausgerechnet heise online?
Dieser Redakteur, also ich, bekommt deshalb gut mit, was sich tut, seitdem ChatGPT in vieler Mund ist, weil nun alle mit Internetzugang das generative Sprachmodell bedienen können. Microsoft, Google, SAP und die anderen stülpen auf ihre Produkte das Stichwort "KI" und Midjourney und andere Generatoren erzeugen ungeheure Bilder. So wie manche sich skrupellos ihre Texte von einer Maschine schreiben lassen, für gut befinden und diese gar veröffentlichen, meinen andere, es sei Kunst, was KI an Bildern verbricht.
kommt aus den Kulturwissenschaften, wurde frühzeitig in seinem Studium mit Computern konfrontiert – als Arbeitsmittel und Verdienstmöglichkeit. Er kümmert sich im Newsroom von heise online um die Nachrichten aus der IT-Welt.
Es mag ja sein – angelehnt an Johann Gottfried Herders Anmerkungen zur Natur und Kunst – dass KI kann und kennt, aber Können und Kennen verbindet sie so seelenlos, dass mich die Gänsehaut nicht aus Verblüffung und Bewunderung über ihre Produkte überzieht, sondern weil die nackte Unmenschlichkeit aus diesen Bildern gähnt und mich befremdet. Das Blabla ihrer Texte wirkt, als würde es von einem freien Autor geschrieben, der vor allem Zeilen schinden will, weil er nach ihrer Menge bezahlt wird; von der eigentlichen Materie weiß er aber kaum etwas, weil er vor lauter Schnellschreiberei nicht über seinen Horizont schauen und Querverbindungen ziehen oder auch mal lockerlassen kann.
Minenarbeiter der Postpostmoderne
KI kann und kennt nicht von allein, sie muss zuerst gefüttert werden, von tausenden prekär lebenden Menschen, die Informationen in Akkordarbeit sichten und sortieren, so wie sie es auch schon für die Social Networks machen. Sie sind die Minenarbeiter der Postpostmoderne, so wie vor Jahrhunderten Kinder im englischen Kohleabbau die Industrialisierung befeuern halfen. Und bevor die Verbrennung von Kohle und dann Öl den Treibhauseffekt der Atmosphäre verstärkten, hatten die Menschen in ihrem stetigen Fortschreiten praktischerweise schon fleißig die CO₂-absorbierenden Wälder abgeholzt, um ihre Maschinen damit zu betreiben.
Die Spur der menschengemachten Verwüstung zog und zieht sich weiter, im Waldsterben, in Ruinen explodierter Atomkraftwerke, in Ozonlöchern in der Atmosphäre, in riesigen Abfallstrudeln in den Ozeanen, in Monokulturen, für die wieder Wälder abgeholzt werden, lange und breite Autobahnbänder mit Abermillionen Autos darauf, massenhaften Tiertötungen, aussterbenden Pflanzen und Tieren, die Durchschnittstemperaturen steigen, der Meeresspiegel ebenso, der Golfstrom wird schwächer, und und und. Seit dem Zweiten Weltkrieg schwebt zudem über uns die ständige Bedrohung eines Atomkriegs, die gerade wieder Fahrt aufgenommen hat, nachdem der russische Präsident unverhohlen mit ihrem Einsatz gedroht hatte, als er die Ukraine überfiel. Und jetzt setzt die KI zur nächsten Schneise an.
Für solch technikaffine Menschen wie Bill Gates, Jeff Bezos oder Elon Musk liegt die Lösung großer, ach, aller Probleme der Menschheit natürlich in der Technik, schließlich haben sie ihre Milliarden mit ihrer Hilfe aufgehäuft. Etwas kleinformatiger denken etwa niedersächsische Landgerichte, die KI Massenverfahren bearbeiten lassen wollen. Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) nennt den Einsatz von KI in der Justiz "einen wichtigen Schritt" und ich bin überzeugt davon, dass sie keine Ahnung davon hat, wovon sie spricht. Mich lässt auch nicht der Verdacht los, dass die Software "Jano", die Gerichtsurteile per KI anonymisieren helfen soll, nichts anderes ist als eine aufgebohrte Suchen&Ersetzen-Funktion.
Keine Ahnung von KI
Sie als Leserin oder Leser können nun den Verdacht hegen, auch der Redakteur, der dies hier schreibt, also ich, weiß nicht wirklich, was KI ist. Er weiß noch nicht einmal, wie KI effektiv zu bedienen ist, um einen solchen Text wie diesen nicht selbst schreiben zu müssen. Und das stimmt, dieser Text ist 100% selbstgeschrieben. Hinzu kommt, dass KI ein weites, in dichtem Dunst liegendes Feld ist, das durch viel Marketingsprech ge- und verwässert wird, weil die Tech-Industrie nach dem nächsten großen Ding sucht angesichts dessen, dass die Märkte von ihren Produkten schon reichlich satt sind, zuletzt in Form von In-App-Käufen und Allerhand im Abo. Die Hightech-Firmen versprechen uns zum Beispiel, dass autonome Autos dank KI noch weniger tödlich sein werden. Kam schon die Meldung, dass die Grundwasserpumpen im Kleingartengebiet "Stilleruh" in Großkleckershausen nun mit KI betrieben werden, um Strom oder gar Wasser zu sparen?
Mehr Ahnung von der Materie sollten jene hunderte Experten haben, die in diesem Jahr eine öffentliche Warnung vor ihren eigenen Produkten ausgestoßen haben: "Die Verringerung des Risikos, dass uns KI auslöscht, sollte weltweit mit der Priorität angegangen werden, die anderen Risiken von gesellschaftlicher Bedeutung wie Pandemien und Atomkrieg entgegengebracht wird." Das meinen unter anderem die Geschäftsführer von OpenAI, Googles Deepmind und Anthropic. Die Gefahren benennen sie nicht konkret, wohl damit sich möglichst viele Menschen mit ihrem Aufruf identifizieren können – oder weil sie eben doch bisher nicht recht wissen, was sie der Welt beschert haben.
Die Gefahren liegen auch nicht derart nahe und scheinen nicht so konkret wie vor knapp 80 Jahren, als das Manhattan Project seine erste Atombombe gezündet hatte. Sie scheinen erst einmal vage, zum Beispiel wurde häufig vor den Folgen für den Arbeitsmarkt gewarnt, weil Jobs überflüssig werden könnten. Manche befürchten, es könne eine Artificial General Intelligence entstehen, also eine KI, die intelligenter ist als der Mensch. Die könne der Menschheit gefährlich werden.
Enge Filterblasen
Andere warnen vor dem Gefahrenpotenzial durch Desinformation, die mit KI-Generatoren viel leichter und glaubwürdiger produziert werden könne. Diese Warnung erscheint mir am meisten realitätsnah. Immer häufiger begegne ich seltsam verschraubten Textkonstruktionen, manchmal meine ich als Quelle dahinter meine eigenen Meldungen zu erkennen. Allerdings brauchte es in der Geschichte der Menschheit bisher keine höchst ausgefeilte KI, um sie in Kriege und zu Massenmorden zu treiben, dafür reichten Zeitungen, Rundfunk und fanatische Großmäuler.
Heute aber droht Künstliche Intelligenz die Menschen noch enger in ihre Filterblasen zu zwängen und irritierende Fehlentwicklungen zu forcieren, so wie Social Networks Trump und AfD groß gemacht haben.*) Hier sind KI und ihre Vorläufer dabei, eine weitere Schneise der Verwüstung zu schlagen. Keine, die auf oder über dem Erdball verläuft, sondern in den Köpfen der Menschen. Ein Beleg dafür: Die US-amerikanische Demokratie zerlegt sich seit einiger Zeit auf Basis von Halbwissen und Lügen, perpetuiert von Instagram, Facebook und Xitter.
Schon jetzt können viele Menschen schwer wahr und falsch voneinander unterscheiden. Wie sollen sie wissen können, welche Erzeugnisse von einer KI stammen und welche noch nicht? Und nun wird kundgetan, dass ChatGPT wohl nicht mehr nur alten Kram wiederkäuen können soll. Wenn dieser und andere Bots auf dieser Basis das Nachrichtengeschäft komplett übernehmen, dann könnte sich die Künstliche Intelligenz aus sich selbst heraus ernähren. Und der Autor dieser Zeilen, also ich, könnte seine Schreibmaschine einpacken und ihr dabei zuschauen.
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*) Wobei der Gedanke naheliegt, dass Trump und AfD selbst Künstliche Intelligenzen sind, so wie sie wahl- und prüfungslos irgendwelche Informationen aufnehmen, die ihnen gerade recht erscheinen, vermengen und dann mehr oder weniger verdaut wieder von sich geben.
(anw)
Author: Heather Barr
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